Im bürokratischen Pflegesystem ist der Pflegegrad zentral: Mit ihm besteht der Anspruch, Leistungen von der Pflegeversicherung zu beziehen. Der Pflegegrad bringt zeitliche und finanzielle Erleichterung für viele Betroffene und ihre Familien mit sich. Allerdings bestehen Hürden, um einen Pflegegrad zu erhalten. Deswegen ist der Schock umso größer, wenn der Pflegegrad-Bescheid abgelehnt wird oder ein zu niedriger Pflegegrad vergeben wird. Die Folgen sind enorm, beispielsweise reicht der Betrag des Pflegegelds von 0 Euro (Pflegegrad 1) bis 901 Euro (Pflegegrad 5). Aber Sie sind dem Pflegegrad-Bescheid nicht machtlos ausgeliefert, sondern können Widerspruch einlegen und gegebenenfalls auch Klage einreichen. Hier ist das pflegerische Gerichtsgutachten von zentraler Bedeutung.
Pflegegutachten und Pflegegrad
Der Eintritt einer Pflegebedürftigkeit ist meist ein Schock. Schnell stellen sich viele Fragen, denn gute Pflege ist teuer. Im deutschen Sozialsystem besteht das Recht auf Leistungen der Pflegeversicherung für alle Pflegebedürftigen. Voraussetzung ist ein attestierter Pflegegrad.
Die formalen und gesundheitlichen Voraussetzungen bei der Beantragung eines Pflegegrads
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Der Pflegegrad-Antrag ist zwingend, er kann aber formlos gestellt werden. Wir raten Ihnen trotzdem aus Beweisgründen zu einem schriftlichen Antrag, am besten per Einschreiben. In jedem Fall schließen sich die Begutachtung der Pflegesituation und das Erstellen des Pflegegutachtens daran an.
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Sie müssen über einen gewissen Zeitraum körperlich, psychisch und/oder kognitiv eingeschränkt sein und Unterstützung im Alltag benötigen, sodass auch die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Status „pflegebedürftig“ erfüllt werden.
Wie läuft die Begutachtung ab?
Der Pflegegrad wird individuell vergeben, dafür wird im Rahmen des „Neuen Begutachtungsassessments“ ein Pflegefachgutachten erstellt. Im Regelfall erfolgt dabei ein Besuch bei Ihnen zu Hause oder in der Einrichtung, in der Sie aktuell leben. Aufgrund der Corona-Pandemie werden Begutachtungen vermehrt telefonisch vorgenommen, was oft zu Einschätzungen führt, die nicht der Realität entsprechen. Dann wird der Pflegegrad-Antrag abgelehnt oder ein zu niedriger Pflegegrad vergeben.
Die sechs zentralen Bereiche der Begutachtung
Mit Einführung des Pflegestärkungsgesetzes II wurde auch die Begutachtung des Pflegegrades modifiziert. Sechs Module sind entscheidend, wenn der Pflegebedarf im Pflegegutachten festgehalten wird. Diese sind in § 14 Abs. 2 des Elften Sozialgesetzbuches (SGB XI) definiert. Es handelt sich um folgende Bereiche:
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Modul 1: Mobilität
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Modul 2: Kognitive und kommunikative Fähigkeiten
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Modul 3: Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
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Modul 4: Selbstversorgung und Alltagsverrichtung
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Modul 5: Selbstständiger Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Anforderungen
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Modul 6: Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte
Jedes dieser Module wird anhand des Pflegegutachtens individuell geprüft. Sind Sie gesetzlich versichert, übernimmt der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) die Begutachtung. Bei Versicherten einer privaten Krankenversicherung ist MEDICPROOF für die Aufgabe zuständig. Das Vorgehen ist aber in beiden Fällen identisch: Es werden Punkte vergeben, die addiert werden – anhand der Summe bemisst sich der vergebene Pflegegrad.
Wichtig
Je mehr Unterstützung Sie im Alltag benötigen, desto mehr Punkte erhalten Sie und desto wahrscheinlicher ist auch ein Pflegegrad.
Widerspruch gegen den Pflegegrad-Bescheid
Viele Pflegegrad-Anträge werden direkt mit dem Erstantrag abgelehnt. Oft erfolgt auch eine Einstufung in einen Pflegegrad, der nicht angemessen, also zu niedrig, ist.
Die Gründe für die Ablehnung eines Pflegegrad-Antrags sind vielfältig:
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Fehlendes Fachwissen: Viele Betroffene verfügen nicht über die Expertise, um sich mit dem Gutachter auf Augenhöhe auszutauschen. Dann kommt es schnell zu Verständnis- und Verständigungsproblemen.
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Momentaufnahme: Der Termin mit dem Gutachter bildet immer nur einen begrenzten Ausschnitt der Realität ab. Unter Umständen wird so die reale Pflegesituation nicht korrekt erfasst und der Pflegegrad-Bescheid abgelehnt. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn es Ihnen am Tag der Begutachtung deutlich besser geht als sonst.
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Corona-Pandemie: Oft wird die Begutachtung aufgrund der Corona-Pandemie nur noch telefonisch durchgeführt, dann gehen schnell wichtige Informationen verloren.
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Nervosität: Die Begutachtungssituation ist ungewohnt, viele Pflegebedürftige sind deswegen unsicher und nervös.
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Fehlende Unterlagen: Wichtige Unterlagen sollten im Vorfeld gesammelt werden, nicht immer wissen die Betroffenen das. Dann fehlen Informationen zu regelmäßig eingenommenen Medikamenten, Arztbriefe oder Entlassungsunterlagen aus dem Krankenhaus.
Wie können Sie ganz konkret Widerspruch gegen den Pflegegrad-Bescheid einlegen?
Auch nach Ablehnung des Pflegegrad-Antrags haben Sie die Möglichkeit, für Ihr Recht zu kämpfen: Sie können Widerspruch einlegen.
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Für den begründeten Einspruch haben Sie vier Wochen ab Zugang des Ablehnungsbescheids Zeit.
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Gehen Sie bei der Formulierung des Widerspruchs sorgfältig vor, in vielen Fällen ist externe Hilfe sinnvoll.
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Fordern Sie das Pflegegutachten an, falls es Ihnen nicht zugeschickt wurde.
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Prüfen Sie, ob die Darstellung im Pflegegutachten mit der tatsächlichen Pflegesituation übereinstimmt. Wenn nicht, haben Sie hier einen Anknüpfungspunkt für Ihren Widerspruch.
Klage und Gegengutachten
Wenn auch Ihr Widerspruch nicht zum gewünschten Pflegegrad führt, haben Sie noch eine Option: die Klage vor Gericht. Erneut wird ein Pflegegutachten von einer unabhängigen Instanz erstellt. Sie haben mit § 109 SGG aber auch das Recht, den Gutachter oder die Gutachterin frei zu wählen. Ein entsprechendes Gegengutachten können Sie dem Gericht vorlegen, es muss berücksichtigt werden. Voraussetzung ist allerdings, dass ein Arzt oder eine Ärztin das Pflegegutachten erarbeitet.
Gut zu wissen
Viele Betroffene denken schnell an Ihre Hausarztpraxis. Wir raten davon ab, denn das Gericht könnte den Eindruck eines Gefälligkeitsgutachtens gewinnen.
Mit einem solchen Gegengutachten sollen vor Gericht die Widersprüche aufgeklärt und der Sachverhalt korrekt erfasst werden. Dem Gegengutachten kommt also hohes Gewicht zu, wenn Sie das Recht zugesprochen bekommen wollen, das Ihnen zusteht.
Gerichtsgutachten
Der Weg vor das Gericht ist anstrengend, ungewohnt und oft auch eine emotionale Belastung. Für die Betroffenen ist es eine neue Situation. Viele Pflegebedürftige haben Angst, Fehler zu machen und ihr Recht auf Pflegeleistungen zu verspielen. Externe Unterstützung kann also sehr hilfreich sein. Pflegefachlich steht Ihnen das kompetente Team von Dr. Weigl & Partner gerne zur Seite. Wir wissen, worauf es bei einer pflegefachlichen Begründung des Widerspruchs ankommt.
Um uns und unsere Arbeit kennenzulernen, bieten wir Ihnen eine kostenfreie und unverbindliche telefonische Erstberatung. Auf Ihre Kontaktaufnahme freuen wir uns!